Bildung für den Ernstfall? Warum wir diese Form von Sportunterricht nicht brauchen
Der Vorschlag des Sportwissenschaftlers und Sporthistorikers Michael Krüger, den Sportunterricht an Schulen stärker auf Ernstfälle wie Katastrophen und Kriege auszurichten, hat für Aufsehen gesorgt. Doch bei genauerem Hinsehen wirft dieser Ansatz viele Fragen auf: Was ist der eigentliche Zweck von Bildung, und wie sollte der Sportunterricht in einer friedlichen Gesellschaft gestaltet werden?
Bildung: Ein Instrument des Friedens, nicht der Angst
Bildung ist in ihrer Essenz ein Instrument, das junge Menschen befähigen soll, ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen. Der Vorschlag, Kinder und Jugendliche auf „Ernstfälle“ wie Naturkatastrophen oder sogar Kriegszustände vorzubereiten, verschiebt den Fokus jedoch auf Szenarien, die Angst schüren und den eigentlichen Bildungsauftrag verzerren.
Sportunterricht, wie er in vielen Ländern gestaltet wird, hat das Potenzial, Teamarbeit, Resilienz, körperliche Gesundheit und psychische Stabilität zu fördern. Diese Fähigkeiten helfen Menschen, in Krisensituationen zu bestehen, ohne dass sie explizit auf militärische oder katastrophenartige Szenarien ausgerichtet werden müssen. Warum also eine Bildungsidee fördern, die junge Menschen auf Kampf und Überleben trimmt, statt auf langfristige Lebensqualität?
Ganzheitlichkeit statt Instrumentalisierung
Die Stärke des Sportunterrichts liegt in seiner Vielseitigkeit: Er kann motorische Fähigkeiten fördern, soziale Kompetenzen stärken und einen Ausgleich zum oft kognitiv belastenden Schulalltag bieten. Krügers Ansatz ignoriert jedoch diese ganzheitlichen Ziele und instrumentalisiert den Sport als Vorbereitung auf Extremsituationen.
Während körperliche Fitness immer relevant ist, stellt sich die Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein spezifisches „Ernstfalltraining“ Schulabgänger* besser auf Katastrophen vorbereitet? Solche Szenarien sind zwar spektakulär, aber oft weit entfernt von den tatsächlichen Bedürfnissen der Gesellschaft. In der Realität ist es die Kombination aus sozialer Kompetenz, psychischer Belastbarkeit und körperlicher Fitness, die in Krisen wirklich zählt.
Falsche Prioritäten im Bildungssystem
In einer Zeit, in der Bildungssysteme mit grundlegenden Herausforderungen kämpfen – Lehrermangel, Digitalisierung, Inklusion – erscheint es fragwürdig, Ressourcen in ein so spezifisches Programm zu investieren. Vielmehr sollte Sportunterricht darauf abzielen, langfristige körperliche und geistige Gesundheit zu fördern. Programme, die Kinder und Jugendliche für ein nachhaltiges Leben stärken, sind weitaus sinnvoller als Trainings für Extremszenarien, die hoffentlich nie eintreten.
Eine friedensorientierte Bildung als Gegenentwurf
Statt sich auf Ernstfälle zu konzentrieren, könnte der Sportunterricht zu einem Werkzeug für Friedensbildung werden. Bewegung kann Gemeinschaft schaffen, Vorurteile abbauen und jungen Menschen helfen, ihre eigene Stärke in einem positiven Kontext zu erleben. Ein solcher Ansatz könnte der Spaltung in der Gesellschaft entgegenwirken und das Fundament für eine resiliente und solidarische Gemeinschaft legen.
Fazit
Bildung sollte junge Menschen auf das Leben vorbereiten, nicht auf den Krieg. Der Vorschlag, den Sportunterricht für Katastrophen und Kriegszustände auszurichten, verkennt den wahren Wert von Bildung: Sie ist ein Instrument des Friedens, das junge Menschen dazu befähigt, sowohl in Krisen als auch im Alltag erfolgreich zu bestehen. Statt Angst zu schüren, sollte Bildung aufbauen, verbinden und ermächtigen – in einer Welt, die mehr Miteinander und weniger Spaltung braucht.
➡ Quelle: https://taz.de/Sportunterricht-fuer-den-Ernstfall/!6059664/