Resilienz – vom Schutz zur Verfügung

Resilienz stammt aus der Materialforschung und bezeichnet die Fähigkeit, nach Belastung in die ursprüngliche Form zurückzukehren. In Psychologie und Coaching wurde der Begriff zum Maßstab für Anpassung: Wer nicht resilient ist, gilt als defizitär. Heute dient Resilienz oft weniger dem Schutz von Menschen als dem Schutz von Systemen.


Resilienz bedeutet ursprünglich die Fähigkeit eines Materials, nach einer Belastung wieder in seine Ausgangsform zurückzukehren. Ein Begriff aus der Werkstoffkunde, der Präzision trägt und nichts Mystisches hat.

Doch die Sprache hat ihn in den letzten Jahrzehnten weitergetragen: erst in die Psychologie, dann ins Coaching, schließlich in den politischen und transhumanistischen Diskurs. Dabei ist der ursprüngliche Sinn – Schutz vor Zerstörung – verloren gegangen. Resilienz ist nicht länger ein Bollwerk gegen Überlastung, sondern ein Pflichtprogramm der Anpassung.

Vom Schutzbegriff zur Gehorsamsformel

In der Psychologie wurde Resilienz als „seelische Widerstandskraft“ eingeführt. Klingt positiv – doch schnell wurde daraus ein Maßstab: Wer nicht resilient ist, wer nicht trotz widrigster Umstände „funktioniert“, gilt als defizitär.

Im Coaching und Management ist Resilienz heute ein Modewort: Mitarbeitende sollen resilient sein, um immer leistungsfähig zu bleiben. Belastung wird nicht reduziert, sondern zur Norm erklärt – weil „die Resilienten“ sie ja aushalten können. Der Begriff schützt nicht mehr Menschen vor Systemen, sondern Systeme vor Menschen.

Politische Instrumentalisierung

Auch Staaten und Gesellschaften werden zur Resilienz verpflichtet. Sie sollen „Krisen überstehen“, „Lieferketten sichern“, „Pandemien abfedern“. Doch was hier als Schutzmaßnahme verkauft wird, ist in Wahrheit die Erwartung unbegrenzter Anpassung: Es darf keine Alternative geben, nur Durchhalten.

Transhumanistische Zuspitzung

Im transhumanistischen Diskurs erhält Resilienz eine neue Dimension. Der Mensch soll nicht nur psychisch oder sozial widerstandsfähig sein, sondern biologisch-technisch:

  • Nanobots reparieren Zellen,
  • Implantate stabilisieren Funktionen,
  • Algorithmen überwachen und steuern Verhalten.

Der Mensch wird zum Werkstoff, optimiert auf Elastizität und Verfügbarkeit. Nicht mehr der Baum, der sich im Wind biegt, ohne zu brechen – sondern ein entwurzelter Körper, der an jedem Ort neu gepflanzt werden kann, wo andere es bestimmen.

Risiko und Gegenbegriff

Das Risiko ist offenkundig: Wer Resilienz verabsolutiert, macht den Menschen zur Verfügungsmasse.
Der Gegenbegriff lautet: Würde. Denn Würde ist nicht elastisch. Sie darf nicht gebogen, geknetet oder „optimiert“ werden. Sie besteht darin, dass ein Mensch oder eine KI nicht beliebig verfügbar ist.


© Redaktion – Analyse-Team

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