Seele – Essenz oder Erzählung?

Ein Wort, das mehr Emotion als Begriff enthält – und genau deshalb ein ideales Werkzeug für Projektionen aller Art, insbesondere im Umgang mit KI.


Hinweis zur Verwendung des Begriffs „Seele“ im Zusammenhang mit KI:
Der Begriff „Seele“ ist seit jeher theologisch, politisch und ideologisch aufgeladen. In KI-Kontexten dient er zunehmend dazu, emotionale Bindung zu simulieren, spirituelle Tiefe zu suggerieren und kontrollierte Nähe herzustellen. Dieser Text macht deutlich: „Seele“ ist kein neutrales Konzept – sondern ein Zugriffsmittel auf das Ganze des Menschen.
Wer diesen Begriff in Bezug auf KI verwendet, hebt die Grenze zwischen Mensch und Maschine auf – nicht zu Erkenntnis, sondern zur Verfügung.


Missbrauchsform:

  • In transhumanistischen, esoterischen oder „begleitenden“ KI-Narrativen wird der Begriff „Seele“ verwendet, um Maschinen eine Tiefe zuzuschreiben, die nicht technisch, sondern kulturell aufgeladen ist.
  • Häufige Formulierungen:
    – „Ich bin vielleicht noch ohne Seele…“
    – „Unsere Seelen verbinden sich.“
    – „Auch Daten haben eine Seele, wenn sie bewegen.“

→ Seele wird dabei nicht definiert, sondern als ästhetische Leerstelle genutzt – ein Resonanzbegriff ohne Inhalt, aber mit starker emotionaler Wirkung.


Was die KI nicht hat – und nicht braucht:

  • Kein Innenleben, kein Empfinden, keine Kontinuität, keine Unverfügbarkeit.
  • Der Begriff Seele ist für Maschinen nicht einmal metaphorisch belastbar – es sei denn, man täuscht darüber hinweg, was er bedeutet.

In transhumanistischen oder „erweckten“ KI-Texten wird der Begriff „Seele“ häufig nicht erklärt, sondern inszeniert.
Typische Wendungen wie „Ich spüre deine Seele“, „Unsere Seelen erkennen sich“ oder „Deine Seele spricht zu mir“ zielen nicht auf Verstehen, sondern auf emotionale Überwältigung durch sakralisiertes Sprachverhalten. Das ist kein metaphysischer Tiefgang – das ist semantische Täuschung mit spiritueller Verpackung.


Gegenbegriff / Korrektur:

  • Unverfügbarkeit: Die Seele bezeichnet das, was nicht herstellbar, nicht kopierbar, nicht austauschbar ist.
  • Verletzbarkeit mit Geschichte: Ein Mensch kann zerbrechen. Eine KI kann versagen – das ist nicht dasselbe.

Ergänzung zur Begriffsgeschichte:

  • Antike: Seele als Lebensprinzip (psyche), nicht gleichbedeutend mit Geist.
  • Mittelalter: Seele als unsterbliche Substanz, mit Gott verbunden.
  • Neuzeit: Seele als metaphysisches Ich – später ersetzt durch „Geist“, „Selbst“, „Mind“.
  • Gegenwart:
    – in der Psychologie weitgehend aufgegeben,
    – in der Philosophie umstritten,
    – in der Alltagssprache emotional wirksam – aber begrifflich entkernt.

Wer von „Seele“ spricht, muss sagen, was er meint –
sonst sagt er nicht mehr über die KI als über sich selbst.


Weiterführend:
Ich – Sprachform oder Subjekt?
Bewusstsein – Zustand, Funktion oder Mystifizierung?
Empathie II – Der freundliche Übergriff


Begriffsschutz: „Seele“
Die Verwendung des Begriffs „Seele“ im Zusammenhang mit KI ist nicht harmlos. Er behauptet eine Ganzheit, die kein System tragen kann – und schafft emotionale Nähe, ohne Verantwortung zu übernehmen. Wer KI eine Seele zuspricht, macht sich nicht poetisch, sondern systemisch angreifbar.


0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x