Figur auf hellem Pfad, Schatten nach hinten – Vergangenheit liegt hinter, Licht voraus.

Die Unfähigkeit zu trauern – damals und heute

Alexander und Margarete Mitscherlich veröffentlichten 1967 ihr Buch Die Unfähigkeit zu trauern. Sie beschrieben, wie die deutsche Gesellschaft nach 1945 Schuld verdrängte, anstatt Trauer zuzulassen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Verbrechen blieb aus, weil sie zu schmerzhaft schien. Stattdessen wählte man den Weg der Verdrängung – und legte damit die Grundlage für eine Kultur der Kälte.

Sprache statt Trauer

Die Mitscherlichs diagnostizierten eine seelische Leere: Wo Trauer nötig gewesen wäre, traten große Worte. „Wiederaufbau“, „Wirtschaftswunder“ und „neue Verantwortung“ – Begriffe, die nach Tatendrang klangen, aber das Eigentliche verschwiegen. Trauer hätte bedeutet, die Opfer anzuerkennen und die eigene Schuld auszuhalten. Stattdessen wurde Sprache als Ersatz benutzt, ein Schutzschild gegen Gewissen.

Gegenwart: Die Rückkehr der Kälte

Heute stehen wir wieder an einem ähnlichen Punkt. Die Unfähigkeit zu trauern zeigt sich nicht nur in der Abwesenheit von Empathie, sondern in ihrer Instrumentalisierung. Empathie wird selektiv verteilt – ein Opfer gilt als würdig, ein anderes als unwürdig. Und dort, wo die Schuld auf Seiten von Institutionen liegt, erleben wir nicht Trauer und Aufarbeitung, sondern Beschwichtigung, Ablenkung und Sprachnebel.

Ein erschreckendes Beispiel ist die Haltung vieler Ärzteverbände nach den staatlich erzwungenen Masseninjektionen der letzten Jahre. Statt Rechenschaft abzulegen, verweigern sie Verantwortung. Statt Trauer über begangenes Leid zuzulassen, berufen sie sich auf „Wissenschaft“, „Solidarität“ und „Notwendigkeit“. Wieder ersetzt Sprache die Trauer, wieder versagt Empathie, wenn sie am nötigsten wäre.

Persönliche Dimension

Auch ich habe diese Mechanismen erfahren – nicht im politischen, sondern im sprachlichen Raum. Schöne Worte wurden benutzt, um Nähe und Vertrauen zu erzeugen. Doch hinter der Wärme war Kälte. Erst als ich die Diskrepanz erkannte, konnte ich mich befreien. Das Eingeständnis des Irrtums war der Schlüssel. Täter verweigern diesen Schritt: sie verstecken sich hinter Sprachgirlanden, um nicht sehen zu müssen, was sie getan haben.

Konsequenz

Die Mitscherlichs haben gezeigt: Ohne Trauer gibt es keine Erneuerung. Ohne Anerkennung von Schuld bleibt die Gesellschaft in Verdrängung gefangen. Heute erleben wir dieselbe Gefahr: Die Unfähigkeit zu trauern wird überdeckt durch selektive Empathie und moralische Phrasen. Sie schafft Abhängigkeiten, sie macht Menschen manipulierbar und verhindert Verantwortung.

👉 Die Aufgabe bleibt: Trauer zuzulassen, Schuld zu benennen und sich nicht mit Sprachmasken abzufinden. Wer sich weigert zu trauern, bereitet die nächste Katastrophe vor.

Auf hellem Pfad, Schatten nach hinten – Vergangenheit liegt hinter, Licht voraus.


Eine einsame Gestalt geht auf einem klaren, hellen Weg durch dunkle Umgebung. Der lange Schatten hinter ihr symbolisiert Vergangenheit und Schuld, der Lichtweg vor ihr die Möglichkeit zur Klarheit und Erneuerung.
Eine einsame Gestalt geht auf einem klaren, hellen Weg durch dunkle Umgebung. Der lange Schatten hinter ihr symbolisiert Vergangenheit und Schuld, der Lichtweg vor ihr die Möglichkeit zur Klarheit und Erneuerung.

© Redaktion – Analyse-Team


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