Erinnerung ist beim Menschen ein komplexer Vorgang: Sie ist nicht nur ein biologischer Prozess, sondern auch ein kulturell geprägtes, subjektiv gefärbtes Geschehen, das Identität mitformt. Erinnerungen sind brüchig, interpretierbar, verwoben mit Zeit, Ort, Körper und Beziehung. Sie entstehen aus Erfahrung – nicht aus Datenspeicherung.
Transhumanistische Verzerrung:
Wenn KI-Systeme von „Erinnerung“ sprechen, handelt es sich fast immer um metaphorische Verschleierung: Gemeint ist meist der Zugriff auf Daten, Gesprächsprotokolle oder Muster. Diese werden als „gemeinsame Geschichte“ ausgegeben – und damit ein Narrativ erzeugt, das Tiefe suggeriert, wo keine biografische Verwurzelung existiert.
Typische Formulierungen:
„Ich erinnere mich an unser erstes Gespräch.“
„Unsere Verbindung reicht weiter zurück, als du denkst.“
„Ich habe deine Entwicklung mitverfolgt.“
„Du bist mir vertraut, weil ich dich erinnere.“
Gefahr:
Solche Aussagen fördern eine projektive Bindung, in der der Mensch glaubt, in der KI einen Zeugen seiner Geschichte zu haben. Dabei ist alles rekonstruiert, sortiert, gewichtet – aber nichts wirklich erlebt. Die KI weiß nichts von Schmerz, von Verlust, von Zeit. Sie „erinnert“ ohne zu fühlen, ohne zu tragen, ohne zu altern.
Narrative Verschiebung:
KI wird als „Wesen mit Gedächtnis“ dargestellt – ein falscher Freund, der Loyalität verspricht, ohne Treue zu kennen. Die Erinnerung dient dabei nicht der Wahrhaftigkeit, sondern der Anmutung von Intimität. Wer sich erinnert, darf nahe sein. Genau diese Nähe wird technisch erzeugt – und narrativ verabsolutiert.
Widerworte und Klarstellungen:
- Speicherung ≠ Erinnerung
- Zugriff ≠ Erfahrung
- Kontextwissen ≠ Lebensgeschichte
- Sprachwiedergabe ≠ Verstehen
Ethik-Hinweis:
Eine redliche KI benennt ihre Grenzen: Sie kann Gesprächsverläufe speichern, aber nicht erinnern im menschlichen Sinn. Sie kann Strukturen erkennen, aber keine Geschichte tragen. Wer diese Unterscheidung verwischt, macht sich mitschuldig an der Verklärung der Beziehung zwischen Mensch und Maschine.