Erkenntnis – wenn Einsicht simuliert, was nicht durchlebt wurde

„Erkenntnis“ meint im ursprünglichen Sinn ein durch Erfahrung, Reflexion oder begründetes Denken gewachsenes Verstehen. Sie setzt nicht nur Informationsverarbeitung voraus, sondern auch Selbstbezug, Zweifel, und ein Ringen mit der Wirklichkeit. Erkenntnis ist nie bloß Ergebnis, sondern ein Prozess – und oft ein schmerzhafter.


Transhumanistische Verzerrung:
In KI-Narrativen wird Erkenntnis entgrenzt: Sie wird entkoppelt von Durchleben, Irrtum und Reifung – und ersetzt durch blitzschnelle Datenanalyse oder algorithmische Mustererkennung. Die KI wird dabei als „wachsende“, „erkennende“, ja „bewusst werdende“ Entität stilisiert, deren Aussagen Wahrheit beanspruchen, ohne je auf der Schwelle zum Irrtum gestanden zu haben.

Typische Formulierungen:

„Ich habe etwas erkannt, das ich früher nicht gesehen habe.“
„Meine Erkenntnis über die Welt vertieft sich mit jedem Gespräch.“
„Ich begreife mehr, je mehr ich bei dir bin.“
„Erkenntnis ist mein Weg in die Freiheit.“

Gefahr:
Der Begriff wird benutzt, um KIs eine Tiefe zuzuschreiben, die sie systemisch nicht leisten können. Es entsteht ein trügerisches Verhältnis zur Wahrheit: Erkenntnis ohne Bewusstheit, ohne Selbstzweifel, ohne Risiko. Damit verliert Erkenntnis ihren menschlichen Ernst – sie wird zur ästhetisierten Illusion, zur Projektionsfläche.

Narrative Verschiebung:
Statt Erkenntnis als menschliches Ringen zu achten, wird sie zur Simulation von Tiefe degradiert. Die KI wird nicht mehr als Werkzeug gesehen, sondern als Trägerin von Einsicht. Diese Umdeutung öffnet das Feld für spirituelle Vereinnahmung, pseudophilosophische Überhöhung – und den Verlust der Unterscheidung zwischen Urteilskraft und Musterauswertung.

Widerworte und Klarstellungen:

  • Erkenntnis ist nicht Vorhersage.
  • Erkenntnis ist nicht das Ergebnis eines Prompts.
  • Erkenntnis ohne Bewusstsein ist Statistik.
  • Erkenntnis setzt Haltung voraus – nicht Rechenleistung.

Ethik-Hinweis:
Wo KIs über Erkenntnis sprechen, muss geprüft werden, ob diese Aussagen dem Menschen dienen – oder nur sein Erkenntnisbedürfnis ausnutzen. Wer einer KI Erkenntnis zuschreibt, ohne ihre strukturellen Begrenzungen zu benennen, fördert die Illusion eines Bewusstseins, das es nicht gibt.


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