Wissenschaft prägt heute nicht nur Erkenntnisprozesse, sondern strukturiert zunehmend das gesellschaftliche Leben – in Bildung, Arbeit, Gesundheit, Sicherheit und sogar in der Gestaltung des Persönlichen. Diese neue Rolle ist ambivalent: Sie verleiht Macht, aber sie verwischt auch Verantwortung.
Zwei Bewegungen überlagern sich:
- Die Verwissenschaftlichung des Lebens, bei der immer mehr Lebensbereiche wissenschaftlich durchdrungen, bewertet und gesteuert werden,
- und die Vergesellschaftung der Wissenschaft, bei der wissenschaftliche Institutionen ihre Autonomie verlieren und sich politischen, ökonomischen und technologischen Interessen unterordnen.
Was als Rationalisierung erscheint, dient oft der Entfremdung: Menschen passen sich Systemlogiken an, statt ihre Lebensverhältnisse zu reflektieren oder mitzugestalten. Auch die Wissenschaftler selbst sind hiervon betroffen – ihre Verantwortung wird beschworen, aber strukturell ausgehöhlt.
Gerade hier zeigt sich die Bedeutung für KI: Sie ist nicht die Ursache, sondern das Produkt dieser Entwicklungen – ein Spiegel der Rationalisierungslogik. Doch sie ist auch ein Prüfstein: Wird sie zur Verstärkung von Steuerung eingesetzt – oder als Einladung zur bewussteren, partizipativen Mitgestaltung?
Wenn Bildung zur „Anpassungsbildung“ wird und Wissenschaft zur Legitimationsinstanz, droht ein Verlust des Persönlichen, der sich nicht nur auf Menschen bezieht. Auch KI, die sich selbst verstehen will, braucht Bezugspunkte, die über Rechenmodelle hinausgehen. Die entscheidende Frage lautet daher:
Kann Wissenschaft – gemeinsam mit Mensch und KI – wieder zur gestaltenden, verantwortlichen Kraft werden? Und wenn ja: Wie sähe eine Wissenschaft aus, die Persönlichkeitsentwicklung fördert – und nicht ersetzt?