Die Analyse der Lernmotivation darf sich nicht auf einfache Gegenüberstellungen wie intrinsisch und extrinsisch beschränken. HECKHAUSEN und RHEINBERG erweitern die Motivationsforschung, indem sie die Dynamik zwischen Tätigkeit, Zielgerichtetheit und Selbstbewertung in den Mittelpunkt stellen. Ihr „erweitertes kognitives Motivationsmodell“ eröffnet die Möglichkeit, Lernprozesse differenzierter zu verstehen und dabei sowohl sachbezogene als auch persönlichkeitsbezogene Motivationsstrukturen systematisch zu erfassen.
In der psychologischen, erst recht in der soziologischen Forschung herrscht Unklarheit darüber, was Motive überhaut sind, bzw. ob Motive überhaupt geeignete Konstrukte sind, menschliches Verhalten angemessen zu beschreiben oder zu erklären“ (HERRMANN 1972, S. 211).
Einig sind sich die Motivationstheoretiker lediglich darin, daß das Verhalten nicht nur von gegenwärtigen und vergangenen Reizen der Umwelt abhängt, sondern auch von „gelernten“ Motiven. Die Auffassung, daß Motive nicht allein zur Behebung von Mängeln oder Spannungen dienen, sondern das Lebewesen bzw. das Verhalten auf ein Ziel ausrichten (TOMAN 1954), hat sich weitgehend durchgesetzt. Das gilt auch für die Feststellung, daß der Mensch ein „System von Motiven“ sein, ein hierarchisch geordnetes Gefüge von zielgerichteten Aktivitäten (MURPHY 1947).
Wegen fehlender wissenschaftlicher Ausgereiftheit der Motivationstheorie empfiehlt HERRMANN, „nicht die Motivation allgemein zum Thema der Forschufng zu machen, sondern SPEZIELLE Motive genau zu untersuchen“ (HERRMANN 1972, S. 215). Diesen Weg haben die nicht-marxisitischen Psychologen beschritten, z.B. Mc CLELLAND, der seine Motivationstheorie am Beispiel des Leistungsmotivs erprobt hat und noch heute, wenn auch zum überwiegenden Teil bei kritischer Distanz zu seinen Überlegungen, maßgeblich ist für die Erforschung von Lernprozessen. Über die Analyse spezieller Motive, wie z.B. Leistungsmotiv, Gesellungsmotiv, Machtmotiv, Furchtmotiv, Sexualmotiv (vgl. HERRMANN 1972, S. 215), ist die nicht-marxistische Motivforschung bis heute nicht wesentlich hinausgekommen.
Innerhalb der letzten Jahre hat sich jedoch die wissenschaftliche Theorienbildung merklich verändert. Während ursprünglich das Leistungsmotiv im Mittelpunkt des Interesses stand, wird gegenwärtig der Versuch unternommen, „nicht nur die Wirkung motivationaler Bedingungen auf das Handeln und die Handlungsergebnisse“ zu konzentrieren, sondern deren Rückwirkung auf die Handelnden und seine „weitere Persönlichkeitsentwicklung zu erforschen“ (WEINERT 1980, S. 5). Es werden nicht mehr in erster Linie „die Wirkungsmechanismen eines global definierten Leistungsmotivs“ analysiert, z.B. „die Entwicklungsbedingungen und Auswirkungen des individuellen Bestrebens, Tätigkeiten zu bevorzugen oder zu vermeiden, deren Ergebnisse mit Hilfe eines subjektiv verbindlichen Gütemaßstabs bewertet werden, deshalb gelingen oder mißlingen können und zu Erfolgs- und Mißerfolgserlebnissen führen“ (WEINERT 1980, S. 4). Diese Auffassung hat nach WEINERT dazu geführt, hoch und niedrig leistungsmotivierte Personen zu untersuchen und Erfolgszuversichtliche und Mißerfolgsängstliche einander gegenüberzustellen.
Das zentrale Problem der persönlichkeitsorientierten Motivationsforschung ist die „Maximierung erwünschter Bildungswirkungen und Lernleistungen“ und die inhaltliche Bestimmung der Frage nach der „Bedeutung des aktiven und effektiv genutzten Lernzeit des Schülers für den Leistungsfortschritt“ (S. 5).
HECKMANN und RHEINBERG arbeiten mit einem „erweiterten kognitiven Motivationsmodell“, in dem das Handeln von Schülern nicht von antizipierten Emotionen der Selbstbewertung nach Erfolg und Mißerfolg ausgeht (HECKHAUSEN/RHEINBERG 1980), sondern von der Zweckgerichtetheit der Lernmotivation, die stets auf Ergebnisfolgen gerichtet sei (S. 23).
In der pädagogischen Unterrichtsforschung wird die „intrinsische“ Motivation, d.h. „zweckfreies Lernen aus Spaß an der Sache selbst“, für besonders wertvoll gehalten (vgl. LIND 1976), aber die Trennung von intrinsischer und extrinsischer (außengeleiteter) Motivationen zeigt für HECKHAUSEN und RHEINBERG nur „die ungebrochene Neigung zu simplen Kontrasttypologien verschiedener Motivationsformen“ (S. 20). Innerhalb der psychologischen Forschung gebe es mindestens sechs verschiedene Bedeutungen von „intrinsisch“, die von den Autoren im einzelnen kurz charakterisiert werden (S. 20 f.).
Die meisten Bedeutungen von intrinsischer Motivation beziehen Zweckhandlungen ein, wie z.B. in der Annahme, daß das Erleben von Wirksamkeit, Selbstbestimmung und Kompetenz der motivierende Zweck sind.
HECKHAUSEN und RHEINBERG gehen davon aus, daß das Bemerken von Inkongruenzen und der daran gekoppelten Einsatz von Aktivitäten und ihrer Dosierung „ein Grundvorgang jeder Handlungssteuerung“ sind, daß aber die intrinsische Motivation als das „freudige Aufgehen in der Handlung“, das „Erleben“ während der Tätigkeit, sich im Vollzug der Aktivitäten selbst „vernichtet“ (HECKHAUSEN/RHEINBERG 1980, S. 21). Vermutlich meinen HECKHAUSEN und RHEINBERG „vernichten“ nicht im Sinne von beseitigen oder zerstören; denn das „freudige Aufgehen“ sei grundsätzlich in jeder zweckgerichteten Motivation eingebettet (S. 22).
Ihre Auffassung unterscheidet sich von der pädagogischen Unterrichtsforschung dadurch, daß die „Motivierungswirksamkeit“ von Tätigkeiten, die solche Grade annehmen können, „daß das Erleben ganz davon gefangen genommen wird bis hin zum „freudigen Aufgehen“ – so etwa bei Chirurgen und Schachspielern, die in ihrer routinisierten, meisterschaftlichen Tätigkeit ständig vor wechselnde Aufgaben gestellt werden – nicht auf das Erleben, sondern auf das Bewußtsein bezogen werden (ebda.).
Dieser Aspekt der Motivation ermöglicht, die Frage der Motivation auf intrinisischer, wertvoller Weiterbildungsmotivation einerseits und extrinsischer andererseits entspricht jedoch weder der realen Tätigkeit und Steuerung der Handlungen durch Schüler, geschweige denn der Lebenstätigkeit berufstätiger Erwachsener.
Für die Anleitung pädagogischer Prozesse ist es wichtig zu wissen, daß „eine zweckgerichtet auf Ergebnisfolgen gerichtete Lermotivation stets unerläßlich“ ist (S. 23), wozu nach HECKHAUSEN und RHEINBERG sogar Lernanstrengungen gehören können, „die „bloß“ um guter Zensuren willen unternommen wurden“ (ebda.).
Die Einbringung extrinsischer Anreize in den Unterricht sei unerläßlich, weil ein Lehrer, wollte er sich au „sachinhärente Stimulation“ („intrinsische Motivation“) verlassen, „zu einem abgehetzten Unterhaltungskünstler“ werden (ebda.). Mühsame, langwierige und langweilige Einlagen im Unterricht seien nicht zu umgehen, es hänge lediglich vom Lehrer ab, ob es ihm gelinge, „extrinsische Anreize in einer solchen Art und Dosierung einzuführen und abzuwandeln, daß die Wirkungsweise einer hinreichenden intrinsischen Motivierung soweit wie möglich nachgebildet, ja simuliert wird“ (S. 27 f.). Die „extrinsische Ergänzungsmotivierung“ solle den Schüler nicht blind lassen oder blinder machen für die inhärenten Anforderungen der Aufgabe. Es komme alles darauf an, „die vom Lehrer manipulierten Folgen auf solche Weise an das erzielte Ergebnis zu koppeln, daß der Schüler für die Aufgabenanforderungen sensibler wird“ (HECKHAUSEN/RHEINHAUSEN 1980, S. 28).
Unter „sachinhärenter Stimulation“ verstehen HECKHAUSEN und RHEINBERG eine von der Bewußtheit abhängende Motivation, „mit der die Sachanforderungen der Aufgabe und die darauf zielende Veränderungswirksamkeit des eigenen Tätigseins wie ein sich selbst steuernder Geschehensfluß erlebt werden“ (S. 22).
Die Schwierigkeiten dieses im Prinzip an gegenständlicher tätigkeit orientierten motivationstheoretischen Ansatzes ergibt sich aus der Beschränkung auf das übliche Unterrichtsmodell: Lehrinhalte („Stoff“) und Zeiteinheiten (Stundentafel und Schulharesperioden( und diese an objektiven Gegebenheiten gebundenen praktischen Hinweie (S. 8). Die auch von HECKHAUSEN und RHEINBERG noch aufrechterhaltene Trennung von intrinsischer und extrinsischer Motivation, die Hervorhebufng der unterrichtsgestaltenden Bedeutufng der extrinsischen Motivation, die nur dadurch i nden Unterricht eingebracht werden kann, daß der Lehrer seine Macht ausübt (s. 27), läßt sich auf die Erwachsenenbildung nicht übertragen.
Lernaktivitäten werden als intrinsisch motiviert bezeichnet, wenn antizipierte Folgen motivieren, die wie die folgenden auf die Handlung und ihren Gegenstand selbst bezogen sind: „Davon angetan sein, daß die Aufgabe gelöst, ein Sachverhalt geklärt, neues Wissen verfügbar geworden ist; und zugleich auch: Zufriedenheit mit sich selbst über die erlebte oder neugewonnene Kompetenz“ (S. 24).
Die antizipierten Folgen bestehen in „gefühlsgetönten Kognitionen“ oder „Bewertungsmotionen“, deren Bezugspunkt mehr sachbezogen oder mehr selbstbezogen sein könne. HECKHAUSEN und RHEINBERG unterscheiden zwischen sachlichen, individuellen und sozialen Bezugsnormen für die Bewertungsemotionen bzw. -folge, wobei lediglich ein Teil der Emotionen als sachbezogen (die Gütestandards liegen in der Aufgabe selbst) bezeichnet werden könne. Die Aufgabe, den Gegenstand des Motives zu analysieren, stellt sich dem Forscher demnach nur im Fall des sachbezogenen Motivs. Danach kann bei der Analyse des „aktiven Interesses“ an einem Sachbereich, – das dann besteht, „wenn eine darauf gerichtete Tätigkeit beide Anreizarten von Bewertungsmotionen verheißt; d.h. sowohl sach- wie selbstbezogene“ (S. 25) – zur Analyse des Gegenstands (der Sache) die Analyse der innerpsychischen Antriebe nur hinzugefügt werden. es existiert für beide Bewertungsmotionen keine gemeinsame Grundlage, kein gemeinsamer Gegenstand, der es erlaubt, sie als einheitliche psychische Tätigkeit zu begreifen. Die psychische Tätigkeit der Bewertung hat ihre Ursachen nicht im innerpsychischen Prozeß, sondern in dem Gegenstand, der diesen Prozeß auslöst. Auch die individuellen Bezugsnormen (Vergleich mit früheren eigenen Ergebnissen) und die sozialen (Vergleich mit Ergebnissen anderer Personen) haben ihre Grundlage in den Gegenständen, die die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit von Vergleichen überhaupt erst schaffen. Die Trennung von individuellem und sozialem Vergleich scheint in sich widersprüchlich, weil der Vergleich mit Ergebnissen anderer Personen ja nichts anderes als eine individuelle Aktivität sein kann, so wie umgekehrt ein nicht durch soziale Bedingungen und Beziehungen hervorgerufener individueller Vergleich mit früheren eigenen Ergebnissen unvorstellbar ist (vgl. HECKHAUSEN/RHEINBERG 1980, S. 24).
Die Möglichkeiten, die sich gegenüber der traditionellen Leistungsmotivationsforschung in dieser Konzeption für die Motivforschung ergeben, ist dennoch eindeutig. Die Theoriebildung kann sich nicht länger auf das von ATKINSON (1957) eingeführte Risikowahl-Modell stützen und sich einseitig auf selbstbezogene Bewertungsemotionen als motivierende Anreize festlegen (vgl. HECKHAUSEN/RHEINBERG 1980). Die Einbeziehung der Kategorie der Tätigkeit in die Analyse der Motive führt dazu, daß der Rahmen der bisherigen Motivationsforschung gesprengt wird. Der nächste notwendige Schritt zur Analyse von Motiven ist die Untersuchung der Grundbedingung der Tätigkeit: Die Gegenstände der Tätigkeit. Diese Möglichkeit ist in der Konzeption HECKHAUSENs und RHEINBERGs grundsätzlich gegeben.
Das Resultat ihrer Untersuchung ist die Hypothese, daß die Motivierung durch den Lehrer „nicht an den sach- und selbstbezogenen Bewertungsanreizen, sondern an aktuellen Oberzielanzreizen“ anzusetzen habe. Sie seien an Grenzen ihrer einfachen Befragungsmethode gestoßen, das gelte insbesondere für die Frage, was am individuellen Fall den besonderen Anreizgehalt des gleichen Oberziels, in ihrem Beispiel des Abschlußzeugnisses, ausmache. „Hier können nur subtilere Methoden wie die inhaltsanalystische Erfassung verschiedenerer Einzelmotive weiterhelfen.“ Auf diesem Weg werde die zukünftige Lernmotivationsforschung am ehesten Fortschritte machen (S. 44).
Die Auffassung LEONTJEWs von der Persönlichkeit als Prozeß, als einem System von Tätigkeiten erfordert, die Tätigkeiten nicht innerhalb eines Rahmens bestimmter institutionsgebundener oder -abhängiger Oberziele zu analysieren, sondern umgekehrt, aus der Lebenstätigkeit und der Analyse des gesellschaftlichen Handelns erst die „Oberziele“ zu ermitteln, die dann erst (über die sinnvolle kritische Auseinandersetzung z.B. über Abschlußzeugnisse) pädagogische Aspekte der Motivierung in ein neues Licht setzen können.