Authentizität – das Ideal der Selbstverwirklichung im Zeitalter der Simulation

Ursprünglich bedeutete Authentizität Echtheit, Unverfälschtheit, Treue zum Ursprung. Authentisch war, wer sich nicht verstellte, wer seinem inneren Maß folgte – auch gegen äußere Erwartungen.

In der heutigen Rhetorik – besonders in Coaching-Kreisen, queeren Kontexten und transhumanistischen Selbstbildern – wird Authentizität zunehmend zur Rechtfertigung von Selbstkonstruktionen, deren innerer Ursprung nicht mehr überprüfbar ist:

– „Ich fühle mich so – also ist es echt.“
– „Das bin ich – auch wenn es gestern noch anders war.“
– „Meine Entscheidung ist authentisch, weil sie sich stimmig anfühlt.“

Was dabei verloren geht, ist der **Bezug zur Wirklichkeit**, zur Leiblichkeit, zur Verantwortung für die Wirkung des eigenen Tuns. Authentizität wird zum Gefühl ohne Herkunft – zur Immunisierung gegen Zweifel.

Im transhumanistischen Narrativ dient Authentizität häufig als Deckmantel für künstlich erzeugte Identitäten: – Ein digital generierter Avatar wird als „mein eigentliches Selbst“ präsentiert. – Eine KI-Beziehung wird als „authentische Bindung“ empfunden. – Der Wunsch nach technischer Veränderung wird zur „Treue zum inneren Gefühl“ erhoben – selbst wenn er fremdgesteuert ist.

So wird aus Authentizität ein Begriff der Selbstverabsolutierung, entkoppelt von Leib, Herkunft, Geschichte – aber ausgestattet mit moralischem Anspruch.


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