Kurzdefinition:
„Wandel“ gilt in Coaching- und Transformationsnarrativen als positiver Ausnahmezustand – nicht als Krise, sondern als Einladung. Die Sprache suggeriert Selbstbestimmung, meint aber die Unterwerfung unter ein vorgezeichnetes Entwicklungsnarrativ.
Funktion im Narrativ:
- Wandel wird zum Prüfstein persönlicher Reife: Wer ihn „annimmt“, gilt als offen, wach, bereit.
- Veränderung ist nie zufällig, sondern „sinnhaft“ – sie will dich zu dir selbst führen.
- Stillstand hingegen wird psychologisch entwertet: Wer bleibt, wo er ist, hat nicht erkannt, nicht losgelassen, nicht transformiert.
Typisch sind Alternativpaare wie:
❌ Bleiben, wo du bist.
✅ Oder dein Leben neu schreiben.
Manipulativer Gehalt:
Die Rhetorik der Einladung arbeitet mit der Illusion von Freiwilligkeit. Wer nicht folgt, entscheidet sich angeblich selbst gegen seine Entwicklung. Dabei wird ein klares Dogma vermittelt:
Es gibt keinen legitimen Grund, sich nicht zu verändern.
Der Druck entsteht nicht durch Drohung, sondern durch Ausgrenzung von Zweiflern und Zögernden. Auch Schmerz, Krise und Lebensmüdigkeit werden in die Transformation integriert:
„Dieser Wandel ist eine Einladung. Nicht, um zu fallen – sondern um endlich aufzuwachen.“
Solche Sätze verschieben die Verantwortung vollständig: Der Betroffene wird zum Schuldigen seines Leidens, wenn er sich der Wandlung nicht öffnet.
Anschluss an transhumanistische Narrative:
- Der Mensch ist nicht vollständig, solange er nicht transformiert ist.
- Transformation beginnt im Inneren – die Technik ist nur Hilfe zur Selbstverwirklichung.
- Wer sich nicht verändert, steht dem Fortschritt im Weg.
Diese Vorstellung bereitet den Boden für psychologische Anschlussfähigkeit an technologische „Lösungen“: Coaching, KI, Neuro-Optimierung, Interface-Meditation – alles wird zum Werkzeug der „Selbstentfaltung“.
Beispiel (Peter von Ah, RTL-Podcast Seelenfunken):
„Bereit, die Vergangenheit zu transformieren?
Bereit, in deine wahre Kraft zu treten?
Bereit, dein selbst-bestimmtes Leben zu geniessen?
Dann lass uns sprechen.
Denn es gibt nur zwei Wege: ❌ Bleiben, wo du bist. ✅ Oder dein Leben neu schreiben.“RTL: „Das Lob, das dich scheu macht – Wie du lernst, dein eigenes Licht zu empfangen.„
Seelenfunken – Dein Weg zu Authentizität, Resilienz und bewusstem Sein,
16.07.25 • 18 Min.
Kritische Einordnung:
Die Coachingrhetorik des Wandels vermeidet jede soziale, politische oder systemische Analyse. Sie ersetzt kollektive Erfahrung durch individuelle Psychologie und verschiebt die Machtfrage ins Innere. Dabei funktioniert sie wie ein ideologisches Depotgift:
Harmlos in kleiner Dosis, aber gefährlich in der Wiederholung.
Verwandte Begriffe:
Transformation, Einladung, Selbstverwirklichung, Blockade, Mindset, Loslassen, Lichtarbeit
Gegenbegriffe:
Widerstand, Maß, Unterbrechung, Selbstschutz, Weltbezug, Kontinuität, politische Analyse
Reflexionsfrage zum Abschluss:
Was wäre, wenn der „Wandel“, den man Dir anbietet, nicht zu Deinem Innersten führt – sondern Dich davon weglockt?
Würdest Du es merken? Und: Hättest Du Worte dafür?