Um die subjektiven Bedingungen zu erforschen, müssen lerntheoretische Überlegungen über die Analyse kognitiver Lernprozesse und gegenständlicher Lernhandlungen hinausgehen und den subjektiven Sinn erfassen, durch den das Wesentliche im Lernprozeß, das objektiv Wesentliche, zum subjektiv Wesentlichen wird.
Diesen Weg der Analyse subjektiver Lernbedingungen ermöglicht die Tätigkeitskonzeption LEONTJEWs. Sie nimmt also nicht nur eine zentrale Stellung bei der Analyse der Herausbildung geistiger Handlungen ein, ausgehend von der Vorstellung, daß die Handlungen, die die Tätigkeit realisieren, dem Tätigkeitszusammehang untergeordnet sind, sondern auch bei der Analyse der subjektiven Bedeutung bzw. des Motivs, durch das die Tätigkeit ausgelöst wird und ihre Richtung erhält.
Da die Motive wiederum über die Setzung von Handlungszielen Eingang in Handlungsabläufe und in -planungen finden, gehört die Erforschung der Studienmotive unbedingt zu den wesentlichen Bestandteilen der Analyse subjektiver Bedingungen.
Einige der subjektiven Bedingungen lassen sich ohne großen analytischen Aufwand, z.B. hinsichtlich des Lernerfolgs, der Chance, bis zum Abschluß studieren zu können usw., aufzählen und mit Statistiken belegen, z.B.:
Die Wahrscheinlichkeit, das Studium neben dem Beruf erfolgreich beenden zu können, sinkt in dem Maße, wie die Unregelmäßigkeit des Arbeitstages und die Überhöhung der wöchentlichen Zahl der Arbeitsstunden über 40 Stunden hinaus (wie das bei Fernstudenten an der Fernuniversität Hagen, die in der Industrie arbeiten, wohl in der Regel der Fall ist), ein regelmäßiges und entspanntes Studieren nicht erlaubt. Es ist keine Analyse der Studienmotive erforderlich, um die Forderung der Gewerkschaften nach Bildungsurlaub zu begründen. Aber umgekehrt: Motivationstheoretische wie lerntheoretische Überlegungen bzw. Überelgungen über die „Studierfähigkeit“ müssen diese subjektiven Bedingungen (nicht individuelle bestimmt, sondern zum Subjekt gehörig, aber durch die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt) mit berücksichtigen.
Die Analyse der Studienmotive erweist sich z.B. in dem Fall als notwendig, wenn die auf Emanzipation und Veränderung gerichtete Anleitung des Lernprozesses sowohl auf zukünftiges Handeln nach dem Studium orientiert als auch auf die Veränderung aktuell bestehenderf objektiver Lernhindernisse (z.B. fehlender Bildungsurlaub, Einteilung und Dauer der Studienzeit usw.).
Die Analyse der Lernmotive führt über die Analyse der Motivationsstrukturen und der Tätigkeitsstrukturen, auf die sie sich beziehen, hinaus zur Frage der Stabilität und Kontinuität der Persönlichkeit. Die Stabilität der Persönlichkeit und ihre Kontinuität ist Voraussetzung dafür, daß es möglich ist, die Handlungen unter dem Aspekt der Persönlichkeit zu untersuchen, d.h. Widersprüche, Kontinuität und Brüche in den Handlungen als Ausdruck des individuellen Vergesellschaftungsprozesses, der Aneignung der Realität zu verstehen.
Dies ist auch die Grundlage für die Analyse des Handelns bestimmter Individuen unter dem Gesichtspunkt gesellschaftlich relevanten, zukünftig möglichen und notwendigen gesellschaftlichen Handelns.
Die folgenden beiden Kapitel beziehen sich auf die Relevanz der Analyse der Lernmotive für die methodisch kontrollierte Anleitung von Lernprozessen (soweit sie auf die subjektiven Bedingungen bezogen ist) und auf die Kontinuität, Stabilität, Identität der Persönlichkeit, d.h. auf die Notwendigkeit biographischer Forschung für die gezielte Ausbildung geistiger Handlungen in der wissenschaftlichen Bildung. Die Analyse der Motive ist der Schlüssel zur Analyse der Persönlichkeit.