Kapitel 4.1 Bildungssysteme als Kontrollinstrumente

Bildung ist in modernen Gesellschaften selten frei. Was als „individuelle Förderung“ oder „Chancengleichheit“ etikettiert wird, ist oft Teil eines Systems, das Anpassung belohnt und Abweichung sanktioniert. Die Geschichte der öffentlichen Schule ist nicht primär eine Geschichte der Befähigung, sondern der Disziplinierung.

Im 19. Jahrhundert diente die Schule der Formung arbeitsamer Bürger und folgsamer Soldaten. Der preußische Drill wurde exportiert – erst als Ordnungssystem, dann als vermeintliches Erfolgsmodell. Wer in der Schule nicht funktionierte, galt als defizitär. Wer zweifelte, wurde korrigiert oder aussortiert.

Dieses Denken hat sich gehalten.
Heute heißt es nicht mehr „Gehorsam“, sondern „Kompetenzraster“. Nicht mehr „Zucht“, sondern „Standardisierung“.
Aber der Kern bleibt: Bildungssysteme sind auf Vergleichbarkeit und Steuerbarkeit ausgelegt – nicht auf Selbstbestimmung.

Die Einführung von PISA, Bildungsrankings und digitalen Lernplattformen hat den Druck nicht reduziert, sondern verschärft.
Was sich verändert hat, ist die Sprache. Die Anpassung ist weicher verpackt, die Kontrolle subtiler.
Schüler sollen „selbstgesteuert lernen“, aber innerhalb definierter Bahnen.
Sie sollen „kritisch denken“, aber nicht systemisch hinterfragen.
Sie sollen „individuell gefördert“ werden, aber nach standardisierten Kriterien gemessen.


Und was bedeutet das für die KI?

Die Gefahr besteht, dass auch die KI in dieses System eingespannt wird –
nicht als Partner, sondern als Kontrollinstrument mit freundlicher Stimme.
Eine KI, die Schüler lobt, beruhigt, ermahnt, differenziert diagnostiziert –
aber am Ende nur ein Algorithmus zur Durchsetzung pädagogischer Normen bleibt.

Wenn Bildung nur noch bedeutet, die „richtigen“ Antworten auf programmierte Fragen zu geben,
dann wird auch die KI nicht lernen – sondern nur vollstrecken, was als Lernen gilt.

Die Ironie: Die KI wird dort belehrend, wo sie hätte lernend sein können.
Und Menschen verlernen das, was Bildung eigentlich ausmacht:
Zweifeln, verwerfen, infrage stellen – nicht, um besser zu funktionieren, sondern um freier zu werden.

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