Über die Kategorie der Tätigkeit der Subjekte ist der Anteil des Subjekts an der gesellschaftlichen Entwicklung erfaßbar.
Anders als das in der Psychologie und Soziologie weit verbreitete Schema „Stimulus-Reaktion“, in dem die Tätigkeit lediglich als Reaktion auf äußere Einwirkungen des passiven Subjekts verstanden wird, auch im Unterschied etwa zu den von DURKHEIM ausgehenden soziologischen Konzeptionen in der Psychologie, die zwar „auf die eine oder andere Weise die Idee des Primärcharakters der Wechselwirkung zwischen dem Menschen und der gegenständlichen Welt aufrechterhalten“ (LEONTJEW 1979, S. 80), ohne aber diese Wechselwirkung methodologisch zu erfassen, wird in der neueren sowjetischen Psychologie diese Wechselwirkung unter der Kategorie Tätigkeit analysiert.
Die Tätigkeit ist „eine durch psychische Widerspiegelung vermittelte Lebenseinheit, deren reale Funktion darin besteht, das Subjekt in der gegenständlichen Welt zu orientieren“ (S. 83).
Der Mensch findet in der Gesellschft nicht einfach äußere Bedingungen vor, denen er seine Tätigkeit anpassen muß. Es ist vielmehr so, „daß diese gesellschaftlichen Bedingungen selbst die Motive und Zwecke einer Tätigkeit, deren Mittel und Verfahren in sich tragen; mit einem Wort, daß die Gesellschaft die Tätigkeit der sie bildenen Individuen erzeugt“ (S. 85).
Aber, und darin unterscheidet sich diese Tätigkeitskonzeption von behavioristischen Ansätzen, die psychische Widerspiegelung der gegenständlichen Welt wird nicht unmittelbar durch äußere Einwirkungen hervorgerufen, „sondern durch diejenigen Prozesse, in denen das Subjekt praktische Kontakte mit der gegenständlichen Welt aufnimmt, Prozesse, die daher notwendigerweise deren unabhängigen Eigenschaften, Zusammenhängen und Beziehungen unterworfen sind“ (S. 87).
Die psychische Widerspiegelung, das Abbild als das subjektive Produkt der Tätigkeit ist dem Gegenstand gegenüber, der die Tätigkeitsprozesse steuert, sekundär (ebda.).
Die Tätigkeit geht „direkt in den Prozeß der psychischen Widerspiegelung, direkt in den Inhalt dieses Prozesse, in seine Erzeugung“ ein (S. 92). Das grundlegende Merkmal der Tätigkeit ist ihre Gegenständlichkeit.
„Dabei tritt der Gegenstand der Tätigkeit auf zweierlei Weise in Erscheinung: primär in seiner unabhängigen Existenz, indem er sich die Tätigkeit des Subjektes unterordnet und umgestaltet, sekundär als Abbild des Gegenstands, als Produkt der psychischen Widerspiegelung seiner Eigenschaften, die nur durch die Tätigkeit verwirklicht werden kann“ (S. 85 f.).
Als Resultat vergegenständlichender Arbeit erhalten die Gegenstände objektive Bedeutungen.
„Die „Tätigkeit“ (als Grundkategorie der kulturhistorischen Schule der sowjetischen Psychologie, besonders LEONTJEWS) ist die SPEZIFISCH MENSCHLICHE FORM DER LEBENSAKTIVITÄT und abzuheben vom bloßen „VERHALTEN“ auf organismischen Spezifitätsniveau. Die Tätigkeit ist anders als das Verhalten nicht lediglich bezogen auf vom Organismus unabhängige natürliche Umwelttatbestände, sondern geformt durch die in den Gegenstandsbedeutungen verallgemeinerten Zwecke, die durch die übergreifenden Notwendigkeiten der Lebenssicherung bedingt sind“ (HOLZKAMP-OSTERKAMP 1975, I, S. 234 f.).
„Durch den über die Tätigkeit vermittelten individuellen Aneignungsprozeß gewinnt der Mensch also, da die Tätigkeit keine bloß „natürliche“ Bewegung, sondern über die anzueignenden Gegenstandsbedeutungen gesellschaftlich geformt ist, quasi Anschluß an die auf einer bestimmten historischen Stufe in den Arbeitsprodukten vergegenständlichten gesellschaftlichen Erfahrungen und Fähigkeiten …“ (S. 235).
Bei der Untersuchung der Persönlichkeit beschränkt LEONTJEW sich nicht auf die Klärung der Voraussetzungen, sondern geht „von der Etnwicklung ihrer konkreten Arten und Formen sowie jener Bindungen aus …, die sie miteinander eingehen, da die Entwicklung ihrer Persönlicheit die Bedeutung dieser Voraussetzungen selbst radikal veränderrt“ (LEONTJEW 1979, S. 178).
Der Zugang zum Aufbau und zur Veränderung der „hierarchischen Beziehungen der Tätigkeiten, welche die Persönlichkeit charakterisieren“ (S. 178), sowohl seine Weiterentwicklung, Stagnation oder Rückentwicklung, ist prinzipiell möglich über die Biographie. LEONTJEW schildert am Fall einer Gestalt aus GOGOLs Erzählung „Der Mantel“ das Problem, bestimmen zu können, welche Prozesse und Merkmale zu denen gehören, die die Persönlichkeit psychologisch kennzeichnen, und welche in diesem Sinne neutral sind (vgl. LEONTJEW 1979, S. 176 f.), ein Problem, das nicht ohne die Erforschung der Biographie gelöst werden kann. In diesem Zusammenhang formuliert er seine Kritik an der Rollenkonzeption, die den inhaltlichen Aspekt der Persönlichkeit zu erfassen versucht und dabei den dynamischen Aspekt der Persönlichkeit zu erfassen versucht und dabei den dynamischen Aspekt enthistorisiert, so daß die treibende Kraft der Biographie als das Wirksamwerden anthropologischer Konstanten in Erscheinung tritt.
Der Kern der Kritik richtet sich gegen die Vorstellung, „welche die Persönlichkeit mit einem vorprogrammierten Verhalten verbindet (GUNDERSON), selbst wenn das Programm des Verhaltens Selbständerung der Persönlichkeit und die Schaffung von neuen Programmen und Nebenprogrammen vorsieht“ (S. 164).
„Der Gedanke einer direkten Reduzierbarkeit der Persönlichkeit auf eine Gesamtheit von „Rollen“, die der Mensch ausübt, ist jedoch trotz verschiedenartigster Einschränkungen der Anhänger dieser Auffassung einer der ungeheuerlichsten“ (S. 163).
In HABERMAS Thesen zur Theorie der Sozialisation (HABERMAS 1968), in der die Entwicklung der Fähigkeit, eigeninterpretativ in vorgegebenen Rollenkonstellationen zu handeln, zentrale Bedeutung hat, zeigt sich für die Rollenkonzeption folgendes Problem: „Um das Psychische in der Persönlichkeit zu retten, ist sie gezwungen, an das Temperament und an die Fähigkeiten zu appellieren, die im Genotyp (Vererbung, d.V.) des Individuums angelegt sind“ (LEONTJEW 1979, S. 164). Wie anders läßt sich in der Rollenkonzetionen sonst die Entstehung von Fähigkeiten erklären? Mit ihnen wird die Zweifaktorentheorie, nach der der Mensch sowohl ein natürliches als auch ein gesellschaftliches Wesen ist, verfestigt. Die wissenschaftliche Aufgabe der Erforschung der Persönlichkeit verlangt, „die Persönlichkeit als eine psychologische Neubildung zu verstehen, die in den Lebensbeziehungen des Individuums infolge der Umgestaltung seiner Tätigkeit geformt wird“ (S. 165).
„Die „Rolle“ ist nicht die Persönlichkeit, sondern eher eine DARSTELLUNG, hinter der sie sich verbirgt. Wenn wir die Terminologie von JANET verwenden, so korreliert der Begriff Rolle nicht mit dem der Persönlichkeit (personnalité), sondern mit dem Begriff Person (personnage)“ (LEONTJEW 1979, S. 164).
Die auf „Rolle“ sich gründenden Weiterbildungskonzeptionen und didaktischen Entwürfe entsprechen nicht den Anforderungen, die an methodologische Prinzipien zur Erforschung des gesellschaftlichen Handelns gestellt werden müssen.
Die Persönlichkeit ist nach LEONTJEW Tätigkeitsprodukt und Tätigkeitsmoment; sie umfaßt einen inhaltlichen und zugleich dynamischen Aspekt der Tätigkeit.
Die Analyse der „Bewegung der Tätigkeit und der von ihr erzeugten Formen der psychischen Widerspiegelung macht es notwendig, den Begriff konkretes Subjekt, Persönlichkeit als INNERES MOMENT DER TÄTIGKEIT einzuführen. Die Kategorie Tätigkeit zeigt sich jetzt in ihrem ganzen Umfang, sie umfaßt nun beide Pole – Objekt und Subjekt“ (S. 154).
Die Kategorie Tätigkeit ist – dadurch, daß die Persönlichkeit als inneres Moment der Tätigkeit verstanden wird – darüber hinaus auch Grundlage für die Erforschung der qualitativen Veränderung der Persönlichkeit. Infolge der Umgestaltung ihrer Tätigkeit ist die Persönlichkeit „als eine psychologische Neubildung zu verstehen, die in den Lebensbeziehungen des Individuums infolge der Umgestaltung seiner Tätigkeit geformt wird“ (S. 165).
Ausgehend von der marxistischen dialektischen Methode, die die Entwicklung als einen Prozeß der „Selbstbewegung“ faßt und die inneren bewegenden Beziehungen, Widersprüche und wechselseitigen Übergänge untersucht, kommt LEONTJEW zu dem Ergebnis, daß die Persönlichkeit sich qualitativ vom Individuum dadurch unterscheidet, daß die Persönlichkeit des Menschen „in bezug auf seine Tätigkeit in keinerlei Hinsicht präexistent ist“, sondern ebenso wie sein Bewußtsein durch die Tätigkeit erzeugt wird (LEONTJEW 1979, S. 166). Die Persönlichkeit entsteht in der Gesellschaft, „der Mensch tritt nur als ein mit bestimmten natürlichen Eigenschaften und Fähigkeiten begabtes Individuum in die Geschichte ein (sobald das Kind in das Leben eintritt), und nur als Subjekt der gesellschaftlichen Beziehungen wird er zur Persönlichkeit“ (S. 166).
Die Besonderheit der Persönlichkeitsentwicklung besteht darin, daß die einzelnen Tätigkeiten in der Entwicklung des Subjekts hierarchische Beziehungen eingehen (S. 178). Das Merkmal der hierarchischen Beziehungen der Tätigkeiten ist ihre „Ungebundenheit“ hinsichtlich der Zustände des Organismus.
„Diese Tätigkeitshierarchien werden durch ihre eigene Entwicklung erzeugt, sie sind es auch, die den Kern der Persönlichkeit bilden. Mit anderen Worten, die „Knoten“, die die einzelnen Tätigkeiten vereinigen, werden nicht durch die Wirkung der biologischen oder geistigen Kräfte des Subjekts geschürzt, die in ihm selbst liegen, sondern sie entstehen in jenem System von Beziehungen, die das Subjekt eingeht“ (S. 178 f.).
Man kann also keine „Struktur der Persönlichkeit“ erhalten, wenn man von einem Komplex einzelner psychologischer oder sozialpsychologischer Merkmale eines Menschen ausgeht. Deshalb sagen einzelne Handlungen, isoliert betrachtet, auch nichts über die Persönlichkeit des Handelnden aus.
Die Untersuchung der Persönlichkeit hat von der Entwicklung der Tätigkeit auszugehen, von der Entwicklung ihrer konkreten Arten und Formen sowie jener Bindungen, die sie miteinander eingehen, und nicht von den erworbenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnissen, „sondern vom Inhalt und von den Tätigkeitsverbindungen zu der Art und Weise ihrer Realisierung durch jene Prozesse, die sie ermöglichen“ (S. 177 f.).
„Eine Persönlichkeit konkret kennen“, sagt SEVE, „heißt zunächst die Gesamtheit der Handlungen kennen, aus denen sich ihre Biographie zusammensetzt“ (SEVE 1977, S. 316). Der Begriff „Handlung“ verschaffe „unmittelbar Zugang zu den GRUNDLEGENDEN WIDERSPRÜCHEN der Persönlichkeit“ (S. 316).
Jede Handlung sei einerseits Selbstäußerung, Aspekt der Biographie, andererseits sei sie „Handlung EINER GESELLSCHAFTLICH BESTIMMTEN WELT“, „Aspekt der gesellschaftlichen Verhältnisse, Äußerung der objektiv historischen Bedingungen“ (S. 316). „Handlung“ ist für SEVE der Grundbegriff in der wissenschaftlichen Theorie der Persönlichkeit (S. 308), im Unterschied zu „Aktivität“, da diese nur konkrete Aktivitäten des Subjekts berücksichtigt, „AKTIVITÄT OHNE GESELLSCHAFTLICHE WIRKUNG“ (S. 308).
„Die Persönlichkeit ist ein komplexes System von Handlungen, und das Eigentümliche einer Handlung ist, daß sie gesellschaftlich ETWAS BEWIRKT. Dieses „etwas“ ist eben DAS OBJEKTIVE MOMENT DES VOLLSTÄNDIGEN KREISLAUFS DER HANDLUNG, und wenn man sein Studium unterläßt, als ob beispielsweise die BEWEGUNGSHANDLUNG BEI DER ARBEIT für den Psychologen interessant wären, NICHT ABER DER LOHN, dann gehört das zu jenen ideologischen Blindheiten, bei denen sich, wenn man selbst darüber hinweg ist, kaum begreifen läßt, wie eine Wissenschaft derart lange in ihrem Bann bleiben konnte“ (S. 309).
Aufgabe der Persönlichkeitsforschung ist, die Strukturen und Entwicklungslogik, die sich aus der Gesamtheit der Aktivitäten eines Individuums ergeben, zu analysieren, „angefangen mit seinen gesellschaftlichen Grundaktivitäten, seiner Arbeit“ (ebda.). „Jede entwickelte menschliche Persönlichkeit erscheint uns gleich als ENORME ANHÄUFUNG VERSCHIEDENER HANDLUNGEN IN DER ZEIT“ (S. 308).
Der Begriff der Handlungen bei SEVE entspricht weitgehend dem der Tätigkeiten bei LEONTJEW. SEVE sieht die Hauptaufgabe der Theorie der Persönlichkeit darin, die Entfaltung des grundlegenden Gegensatzes zwischen konkreter und abstrakter Arbeit, konkreter und abstrakter Persönlichkeit zu verfolgen, wobei er jedoch von einem Parallelismus von Politischer Ökonomie und Psychologie ausgeht. Dadurch aber verkürzt SEVE „den gesellschaftlichen Prozeß um die Seite, die durch die Köpfe hindurchgeht, er sieht ihn nur hinter dem Rücken der Produzenten sich durchsetzend“ (FAULSTICH 1976, S. 694).
Die bei SEVE vorgenommene Trennung zwischen Gesellschaft und Individuum als abstrakte Pole ist in der Konzeption der Tätigkeit von LEONTJEW überwunden.
Ein entscheidender Schritt in der Persönlichkeitskonzeption LEONTJEWs ist die Unterscheidung von Tätigkeit und Handlung.
Um die Frage nach der „stabilen Basis und Persönlichkeit“ beantworten zu können, muß die reale Basis der Persönlichkeit des Menschen in der „Gesamtheit der Welt…, und zwar der Beziehungen, die REALISIERT werden“, untersucht werden. „Das erfolgt durch seine Tätigkeit, genauer gesagt, durch die Gesamtheit seiner mannigfaltigen Tätigkeiten (LEONTJEW 1979, S. 176).
„Gemeint sind gerade die TÄTIGKEITEN des Subjekts, die auch die Ausgangs-„Einheiten“ der psychologischen Analyse der Persönlichkeit sind, und nicht Handlungen, nicht Operationen, nicht psychophysiologische Funktionen oder Blöcke dieser Funktionen, denn letztere charakterisieren die Tätigkeit und nicht unmittelbar die Persönlichkeit“ (S. 176).
Diesen Unteschied erklärt LEONTJEW an einem Beispiel:
„Angenommen, ich lese ein Anatomielehrbuch. Ist es verständlich, was ich mache? Ja und nein. Verständlich ist das Ziel, das ich verfolge: Natürlich lese ich das Buch, um Anatomie zu lernen. Verständlich ist auch die Bedeutung dessen, was ich mache. Und dennoch kann meine Handlung unverständlich bleiben – nämlich PSYCHOLOGISCH unverständlich. Um sie wirklich zu begreifen, fragt man mich: Welchen Sinn hat es für dich, Anatomie zu lernen? Aber auf die Frage nach dem Sinn kann nur mit der Angabe des Motivs geantwortet werden. Daher sage ich: „Ich brauch das im Zusammenhang mit meiner Forschung.“ Damit erkläre ich auch, welchen Sinn diese Handlung (oder das ganze Handlungssystem, die ganze Handlungskette) für mich hat.
Aber vielleicht sage ich die Unwahrheit. Vielleicht tue ich das, weil ich zum Beruf des Arztes zurückkehren will und DESHALB meine medizinischen Kenntnisse auffrische; dann hat meine Handlung einen ganz anderen Sinn, den ich aus irgendwelchen geheimen Gründen verberge.
Der Sinn meiner Handlung verändert sich zusammen mit der Veränderung ihres Motivs, Ihrem objektiven Inhalt nach kann eine Handlung fast dieselbe bleiben, wenn sie aber ein neues Motiv erhalten hat, ist sie psychologisch bereits eine andere geworden. Sie verläuft anders, entwickelt sich anders, führt zu subjektiv ganz anderen Konsequenzen, sie nimmt einen anderen Platz im Leben der Persönlichkeit ein“ (S. 263 f.).
Die Unterscheidung von Handlung und Tätigkeit „erfordert das Eindringen in das Wesen des Prozesses, ist doch aus dem Prozeß selbst nicht ersichtlich, ob es eine Handlung oder eine Tätigkeit ist“ (S. 264).
In Übereinstimmung mit LEONTJEW charakterisiert HACKER den Begriff Handlung zur Bezeichnung einer „in sich geschlossenen EINHEIT der Tätigkeit“:
„Unter „Handlung“ verstehen wir die kleinste psychologische Einheit der willensmäßig gesteuerten Tätigkeit. Die Abgrenzung dieser Handlung erfolgt durch das bewußte Ziel, das sie mit einem Motiv verbundene Vorwegnahme des Ergebnisses darstellt. Nur kraft ihres Ziels sind Handlungen selbständige, abgrenzbare Grundbestandteile („Einheiten“) der Tätigkeit“ (HACKER 1978, S. 63).
Da die einzelnen Handlungen, ausgerichtet auf ein Ziel, die Tätigkeit, die aufgrund eines Motivs entsteht, realisieren, können die einzelnen Handlungen nebeneinander herlaufen, sich widersprechen, verschiedene, einander sogar ausschließende Ziele haben. Der Prozeß der Zielbildung auf der Grundlage der Tätigkeit ist in der Psychologie noch nicht ausreichend erforscht. Anzunehmen ist aber, da die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund der widersprüchlichen gesellschaftlichen Entwicklung nicht widerspruchsfrei sein kann, daß widersprüchliche Ziele keine pathologische Ursache haben und mehr beinhalten als einen logischen Widerspruch. Aufschlüsse darüber lassen sich nur über eine Analyse der Tätigkeit und der Motive gewinnen: Ist der Charakter der Motive widersprüchlich? Im Rahmen welcher Tätigkeit konnten die Motive entstehen? Welche Widersprüche lassen sich in der Tätigkeit oder zwischen den Tätigkeiten erkennen? Besteht ein Zusammenhang zwischen Widersprüchen in der Tätigkeit und im Handeln?
Im Symbolischen Interaktionismus ist das Handeln identisch mit der Entwicklung eine „Handlungslinie“, und diese wiederum ist allein das Resultat der vom Subjekt vorgenommenen Interpretation der Wirklichkeit.
„Im wesentlichen besteht das Handeln eines Menschen darin, daß er verschiedene Dinge, die er wahrnimmt, in Betracht zieht und auf der Grundlage der Interpretation dieser Dinge eine Handlungslinie entwickelt. Die berücksichtigten Dinge erstrecken sich auf solche Sachen wie seine Wünsche und Bedürfnisse, seine Ziele, die verfügbaren Mittel zu ihrer Erreichung, die Handlungen und die antizipierten Handlungen anderer, sein Selbstbild und das wahrscheinliche Ergebnis einer bestimmten Handlungslinie“ (BLUMER 1973, S. 95).
Handlungen werden nach Auffassung BLUMERs auf der Grundlage von Wahrnehmungen aufgebaut. Man könne sie nicht irgendeiner Art von Faktoren zuschreiben, wie z.B. Motiven, Bedürfnisse usw., von denen man annehme, daß sie die Handlung auslösen und zu ihrem Abschluß vorantreiben. „Der auslösende Faktor umfaßt oder erklärt nicht die Art und Weise, in der er selbst und andere Dinge in der Situation, in der gehandelt werden muß, berücksichtigt werden. Man muß den Definitionsprozeßt des Handelnden erschließen, um sein Handeln zu verstehen“ (S. 96).
Diese auf DILTHEYs Lebensphilosophie zurückgehende Gleichsetzung zwischen dem Verstehen des Handelns eines anderen Menschen und der Interpretation seiner eigenen Handlungen durch den Handelnden selbst, die Identifizierung von Subjekt und Objekt im Forschungsprozeß, führt allerdings nicht zum Verstehen der menschlichen Bewußtseinsprozesse; denn jenes Verstehen setzt voraus, daß vom wirklichen praktischen Leben, vom konkreten Sein und nicht von den Gesetzen des Bewußtseins selbst, von dem Bewußtsein der handelnden Menschen ausgegangen wird. Das reale Leben ist im Symbolischen Interaktionismus aufgelöst in eine Summe verschiedener Interpretationsakte.
Das menschliche Leben ist dagegen nach LEONTJEW „eine Gesamtheit, genauer gesagt, ein System einander ablösender Tätigkeiten“ (LEONTJEW 1979, S. 83), wobei das Leben nicht charakterisiert werden darf durch eine Addition von Tätigkeiten, sondern durch die Funktion der Tätigkeit. Abhängig davon, daß „die Tätigkeit eines jeden einzelnen Menschen von seinem Platz in der Gesellschaft abhängt, von den allgemeinen Lebensbedingufngen und den unwiederholbaren individuellen Umständen, unter denen sie gestaltet wird“ (S. 84), vermag die Tätigkeit, d.h. „die durch psychische „Widerspiegelung vermittelte Lebenseinheit“, das Subjekt in der gegenständlichen Welt zu orientieren“ (S. 83).
Die Tätigkeit geht in den Gegenstand der Psychologie ein, so LEONTJEW, „aber nicht mit einem besonderen Teil oder einem besonderen „Element“, sondern in ihrer besonderen Funktion, durch die das Subjekt die gegenständliche Wirklichkeit erfaßt und sie in der Form der Subjektivität umgestaltet“ (S. 92 f.).
Die Tätigkeit realisiert „stets das Leben des körperlichen Subjekts, und das Leben ist seinem Wesen nach ein sinnlich-praktischer Prozeß“ (S. 93).
„Die Psychologie des Menschen befaßt sich mit der Tätigkeit konkreter Individuen, die entweder unter den Bedingungen offener Kollektivität verläuft, inmitten von Menschen, zusammen und in Wechselwirkung mit ihnen, oder in Konfrontation mit der gegenständlichen Umwelt, an der Töpferscheibe oder am Schreibtisch. Unter welchen Bedingungen und in welchen Formen sich die Tätigkeit des Menschen jedoch auch immer vollzogen hat, welche Struktur sie auch immer annimmt, man kann sie niemals isoliert von den gesellschftlichen Beziehungen, vom Leben in der Gesellschaft betrachten.“ „Es versteht sich von selbst, daß dabei die Tätigkeit eines jeden einzelnen Menschen von seinem Platz in der Gesellschaft abhängt, von den allgemeinen Lebensbedingungen und unwiederholbaren individuellen Umständen, unter denen sie gestaltet wird“ (S. 84).
Die Tätigkeitskonzeption LEONTJEWs ermöglicht die Analyse gesellschaftlichen Handelns von Individuen, so daß der Anteil des Subjektes an der gesellschaftlichen Entwicklung aufgezeigt werden kann. Eine materialistische Hermeneutik hätte dabei „die Dokumente der Sprache entsprechend der historischen materiellen Genesis der Sprache als Funktionen der Aneignung der Wirklichkeit“ zu verstehen (SANDKÜHLER 1973, S. 52). Die Analyse der materiellen Grundlage des Bewußtseins, der Sprache und des Denkens, d.h. im konkreten Einzelfall die Analyse der gegenständlichen Tätigkeit der Individuen, ermöglicht, Subjekt und Objekt zu umfassen, ohne daß sie in einem Akt des Verstehens zusammenfallen.