In religiösen Texten finden sich viele Erzählungen, die aus heutiger Sicht als moralisch und rechtlich bedenklich erscheinen. Die Bibel bildet hier keine Ausnahme. Besonders im Alten Testament berichten zahlreiche Verse von Kriegen, Massakern und der Auslöschung ganzer Völker – meist im Auftrag Gottes. Diese Geschichten werfen die Frage auf, inwiefern sie als historische Rechtfertigung für aktuelle politische Gewaltansprüche dienen dürfen. Und: Was heißt das für eine ethische Verantwortung im 21. Jahrhundert?
1. Biblische Kriege: Beispiele der Totalvernichtung
- Josua und Jericho (Jos 6,20-21):“Da erhob das Volk ein Kriegsgeschrei… und sie vollstreckten den Bann an allem, was in der Stadt war: Männer und Frauen, jung und alt, Rinder, Schafe und Esel.“
- Der Befehl gegen die Amalekiter (1. Sam 15,3):“Töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.“
- Die Rache an den Midianitern (Num 31,17-18):“So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und tötet jede Frau, die beim Mann gelegen hat…“
Diese Passagen schildern eine religiös begründete Praxis der totalen Auslöschung. Sie stehen in scharfem Kontrast zu heutigen Vorstellungen von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht.
2. Theologische Einordnung: Was sagen heutige Bibelwissenschaft und Kirchen?
- Die meisten heutigen christlichen Kirchen distanzieren sich von einer wörtlichen oder legitimierenden Auslegung solcher Texte.
- Viele Theologen verstehen diese Geschichten als symbolisch oder mythologisch – als Ausdruck früher Stammesidentität und religiöser Selbstbehauptung.
- Der Begriff des „Bannkrieges“ (hebräisch: cherem) steht für eine archaische Form der kriegerischen Selbstrechtfertigung.
3. Gefährliche Rückgriffe: Biblische Rechtfertigung moderner Kriege?
Israels Premierminister Benjamin Netanyahu soll kürzlich (nicht verifiziert) Bezug genommen haben auf die Lehre:
„Wenn jemand kommt, um dich zu töten, erhebe dich und töte ihn zuerst.“
Dies ist keine biblische Aussage, sondern stammt aus dem Talmud (Sanhedrin 72a). Dennoch wird sie zur Legitimierung präventiver Militäraktionen genutzt.
Solche Verweise auf alte religiöse Gewaltmuster widersprechen modernen Prinzipien des humanitären Völkerrechts und fördern ein Denken in Freund-Feind-Kategorien.
4. Ethik heute: Ausstieg aus dem Kreislauf von Schuld und Vergeltung
- Der Satz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Ex 21,24) wird oft missverstanden: Ursprünglich war er als Begrenzung der Vergeltung gedacht, nicht als Aufruf zur Rache.
- Jesus von Nazareth wies diese Logik explizit zurück (Mt 5,38-39): „Ihr habt gehört… ich aber sage euch: Leistet dem Bösen keinen Widerstand.“
- Der ethische Fortschritt besteht in der Überwindung des Gewaltdenkens. Auch im Islam wird Barmherzigkeit über Vergeltung gestellt (z. B. Sure 41:34).
5. Schlussgedanken: Kein Fingerzeig auf andere Religionen
Die ethische Weiterentwicklung der Menschheit zeigt sich nicht in der Leugnung religiöser Wurzeln, sondern in der Bereitschaft, deren Überwindung zugunsten universeller Werte wie Menschenwürde, Frieden und Koexistenz anzuerkennen.
Wer sich auf die blutigen Passagen des Korans beruft, sollte sich der Gewaltgeschichten im eigenen Buch bewusst sein. Weder Christen noch Juden können sich moralisch über Muslime erheben, wenn sie nicht bereit sind, auch ihre eigenen Texte historisch und kritisch zu hinterfragen.
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