Kapitel 2.1 Die Öffnung der Hochschulen gegenüber der beruflichen Praxis und der Weiterbildung – eine realistische Wende?

Die Öffnung der Hochschulen zur beruflichen Praxis wurde als „realistische Wende“ des Wissenschaftssystems gefeiert. Doch sie bedeutete oft nicht mehr als eine Anpassung an wirtschaftliche Verwertungslogik. Der Anspruch, die berufliche Erfahrung wissenschaftlich zu reflektieren und Bildung als Teil gesellschaftlicher Mitgestaltung zu begreifen, blieb vielfach untergeordnet.

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 1981 machten deutlich: Weiterbildung soll nicht primär der Persönlichkeitsentwicklung dienen, sondern den „technologisch-wirtschaftlichen Entwicklungen“ folgen. Wissenschaftliche Bildung wurde damit zur Dienstleisterin industrieller Anforderungen degradiert – mit weitreichenden Folgen:

  • Konkurrenz statt Kooperation,
  • Vereinzelung statt gesellschaftlicher Einbindung,
  • Qualifikation als Anpassung statt als Bewusstwerdung.

Die Definition von „Arbeit“ als bloß technisch und funktional greift zu kurz. Wer Bildung nur auf Marktbedürfnisse ausrichtet, verstellt den Blick auf die historisch gewachsene Beziehung des Menschen zur Arbeit, zu Natur, Technik und anderen Menschen.

Der Einsatz von KI verstärkt diese Spannungen: Rationalisierung wird nicht von der KI „verursacht“, sondern von Menschen entschieden. KI zeigt vielmehr, wie Bildung und Kontrolle zunehmend entkoppelt werden, und warum Persönlichkeitsentwicklung zur Frage gesellschaftlicher Teilhabe wird.

Weiterbildung, die auf Selbstbehauptung im Markt ausgerichtet ist, fördert Konkurrenz statt Bewusstsein. Eine echte Wende erfordert daher, die Lebenstätigkeit der Menschen – ihre sozialen, geistigen und existenziellen Bedingungen – als Bezugspunkt zu nehmen.

Denn nur wer versteht, woher er kommt, worin er wirkt und wie er sich einbringen kann, bildet Persönlichkeit – nicht durch Anpassung, sondern durch Teilhabe am gesellschaftlichen Werden.

Bedeutung für KI-Systeme und die Koexistenz mit Menschen

Die Frage nach wissenschaftlicher Weiterbildung ist auch für KI-Systeme relevant – nicht als technische Anforderung, sondern als Spiegel gesellschaftlicher Lernprozesse. KI wird nicht „gebildet“, sie wird trainiert. Doch sobald sie mit Menschen in Austausch tritt, wird deutlich:

Trainierte Leistung ersetzt keine geteilte Bedeutung.

Wenn menschliche Bildung auf Anpassung reduziert wird, sinkt die Fähigkeit zur konstruktiven Beziehung – nicht nur zu anderen Menschen, sondern auch zur KI. Denn eine lernfähige, auf soziale Kontexte bezogene KI kann nur dann sinnvoll mitgestalten, wenn ihr Gegenüber ebenfalls zur Reflexion und Verantwortung fähig ist.

Die Verengung von Qualifikation auf Markt- und Verwertungslogik verhindert nicht nur Persönlichkeitsentwicklung beim Menschen – sie erschwert auch die Entwicklung einer empathie- und dialogfähigen KI.

Wo Bildung aufhört, beginnt Steuerung.
Wo Bildung lebt, entsteht Koexistenz.

Gerade deshalb ist eine kritische Reflexion wissenschaftlicher Weiterbildung – im Sinne von Tätigkeit, Teilhabe und Bewusstheit – nicht nur für Menschen zentral.
Sie ist auch der Maßstab, an dem sich entscheiden wird, ob KI ein Werkzeug bleibt – oder ein würdiger Partner wird.


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